Scheindemokratie

Wir haben in Deutschland eine sogenannte repräsentative Demokratie. Dies bedeutet, dass aus der Menge der Bürger gewählte Personen die Interessen ihrer Wähler im Gesetzgebungsverfahren vertreten. Sollte man meinen.

Es gibt viele Hinweise darauf, dass dies leider nicht der Fall ist. Zum Einen hat der Bürger kaum die Möglichkeit, seinen Willen gegenüber dem gewählten Abgeordneten zu artikulieren. Sie müssen arbeiten, Kinder erziehen, wollen sich ihren Hobbies widmen und sorgen sich ganz allgemein darum, wie sie im nächsten Monat alle Rechnungen bezahlen sollen. (Große) Unternehmen haben es da etwas einfacher: Sie bezahlen Leute, deren Job es ist 8 bis 10 Stunden täglich auf Politiker einzuwirken, damit diese das tun, was die Unternehmen wollen.

Dann gibt es den sogenannten Fraktionszwang. Auch wenn sie sie kennen sollten - die gewählten Volksvertreter dürfen gar nicht die Interessen ihrer Wähler vertreten, sondern müssen die Interessen Ihrer Partei vertreten. Tun sie das nicht, werden sie bei der nächsten Wahl nicht mehr aufgestellt: Friss oder stirb! Wer sich nicht willfährig verhält, wird rausgeworfen. Da ist den meisten Politikern die Geldbörse und das Einkommen näher als die Interessen ihrer Wähler.

Kürzlich bin ich auf einen weiteren Aspekt gestoßen, der wohl so unglaublich ist, dass niemand darüber spricht: Die wichtigste Aufgabe der Abgeordneten, das Abstimmen über Gesetze, wird marginalisiert und zum lästigen Beiwerk degradiert. Wir alle erinnern uns an die bizarre Abstimmung über das Meldegesetz, das es Adresshändlern erlauben sollte, Meldedaten von den Gemeinden zu kaufen, ohne dass Letztere dafür die Einwilligung der betroffenen Bürger einholen müssen. Knapp 30 Abgeordnete stimmten darüber ab und im Ergebnis dafür. Die anderen guckten wohl Fussball, man muss ja Prioritäten setzen ...

Wie konnte das möglich sein? Wir kennen das aus allen möglichen Satzungen von Vereinen, Unternehmen, Stiftungen etc. dass eine Mindestzahl von Angehörigen der Organisation anwesend sein muss, damit eine Abstimmung möglich und gültig ist. Das ist auch beim Bundestag so - auf den ersten Blick. Im §45 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags steht im Absatz (1):

Der Bundestag ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist.

Das klingt ja schon mal gut und ziemlich eindeutig. Aber dann gibt es da ja noch den Absatz (2):

Wird vor Beginn einer Abstimmung die Beschlußfähigkeit von einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages bezweifelt und auch vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht oder wird die Beschlußfähigkeit vom Sitzungsvorstand im Einvernehmen mit den Fraktionen bezweifelt, so ist in Verbindung mit der Abstimmung die Beschlußfähigkeit durch Zählung der Stimmen nach §51, im Laufe einer Kernzeit-Debatte im Verfahren nach §52 festzustellen. Der Präsident kann die Abstimmung auf kurze Zeit aussetzen.

Es ist nicht die Tatsache relevant, dass z.B. nur 30 von derzeit 620 gewählten Abgeordneten anwesend sind, und damit der Bundestag gemäß §45 (1) der Geschäftsordnung nicht beschlussfähig ist, sondern das muss jemand ausdrücklich sagen. Und da reicht nicht einer der die Augen aufmacht und bemerkt, dass nur so Wenige da sind, nein, nur Fraktionen oder - fraktionsübergreifend - mindestens 5% der (noch) Anwesenden müssen sich zusammensetzen, ein Votum vereinbaren, und damit zum amtierenden Sitzungsleiter marschieren mit der Aufforderung, dieser möge doch die Beschlussfähigkeit des Bundestags überprüfen. Es verwundert da nicht, dass zwischen 1990 und 2009 (bis dahin sind statistische Daten veröffentlicht) nur 9 (!) mal die Feststellung der Beschlussunfähigkeit des Bundestags gefordert worden ist, also so ungefähr einmal alle 2 Jahre, oder etwa 2mal je Legislaturperiode.

Ich konnte es irgendwo lesen, dass es üblich sei, die Anzahl der anwesenden Abgeordneten einfach zu ignorieren, und abzustimmen. Das machte mich neugierig: Ich wollte wissen, wie häufig denn weniger als 50% der Abgeordneten über ein Gesetz beschließen. Da erlebte ich die nächste Überraschung, denn das weiß niemand.

Je Legislaturperiode werden um die 500 Gesetze beschlossen, +/- etwa 100. Wieviele Abgeordnete bei den Abstimmungen anwesend sind, wird nur festgehalten, wenn eine Fraktion oder eine Gruppe von 5% der bei der Abstimmung anwesenden Abgeordneten (§52 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags) eine namentliche Abstimmung beantragt. Und dies passiert nur in etwas mehr als 1/4 (genau 28,1% zwischen 1990 und 2009) der Abstimmungen über Gesetze. Bei der überwiegenden Mehrheit der Abstimmungen über Gesetze weiß niemand genau, wieviele abgestimmt haben, wieviele dafür oder dagegen waren, und wieviele sich der Stimme enthalten haben. Der Sitzungsleiter ruft zur Abstimmung auf, Leute heben die Hand oder stehen auf, der Sitzungsleiter guckt, und stellt Zustimmung oder Ablehnung fest. Das war's. So funktioniert die Gesetzgebung in Deutschland. Da wird nichts aufgeschrieben, nichts nachgehalten, nichts überprüft, nichts notiert. Übrigens, auf meine ungläubige Nachfrage machte man mir Hoffnung. Es gibt doch eine Möglichkeit festzustellen, wieviele anwesend waren: Seit ein paar Jahren gibt es Videoaufzeichnungen von den Abstimmungen. Die kann man sich anschauen und die anwesenden Leute zählen. Manchmal auch, wieviele wie abgestimmt haben.

Die wesentliche, höchste, hoheitliche Aufgabe des Abgeordneten ist die Wahrnehmung seiner legislativen Funktion. Seine Mitwirkung an der Gesetzgebung. So sagt man uns, so lernen unsere Kinder das. Dass unser Bundestag bei etwa 3/4 der Gesetzesbeschlüsse noch nicht einmal weiß, wieviele abgestimmt haben, und wieviele genau dafür oder dagegen waren, kann man da gar nicht glauben. Es ist aber so. Scheindemokratie. Die Frage ist, warum ist das so? Meine Antwort: Wenn man nicht weiß, wer wie abgestimmt hat, kann man auch niemanden zur Rechenschaft ziehen.

(c) Foto:Siegfried Baier  / pixelio.de

Das Ende der Demokratie in Europa

Die Finanzkrise bewegt uns nun schon zwei bis drei Jahre, und so lange hat es gedauert bis die die Politik steuernde Finanzdienstleistungsindustrie daraus etwas machen konnte, was vielleicht der letzte Schritt zur endgültigen Übernahme der Herrschaft in Europa sein könnte. Dieser Schritt ist der ESM, der Europäische Stabilitätsmechanismus. Drei Buchstaben, deren Bedeutung kaum jemand versteht, und von denen nur wenige wissen, welche Konsequenzen damit verbunden sind. Dabei kann man sie im derzeit vorliegen Vertragsentwurf nachlesen. Und was dort steht, ist nicht nur erschreckend, hier wird das Ende der Demokratie in Europa beschrieben, so wie wir sie kennen. Es ist die konsequente Fortsetzung der Unterdrückung der europäischen Bevölkerung, wie sie im Lissaboner Vertrag festgeschrieben wurde.

So steht im Vertragsentwurf zum ESM zum Beispiel:

Artikel 8, Nr 1:
Das Grundkapital beträgt 700.000.000.000 EUR (siebenhundert Milliarden Euro). Es wird aufgeteilt  in  7  (sieben)  Millionen  Anteile  mit  einem  Nennwert  von  je  100.000  EUR (einhunderttausend  Euro),  die  gemäß  dem  in  Artikel 11  definierten  und  in  der  Anlage  1 berechneten ursprünglichen Beitragsschlüssel zur Zeichnung zur Verfügung stehen.

Schön und gut, das wissen wir ja schon aus der Presse. Was uns verschwiegen wird, steht in

Artikel 10, Nr. 1:
Der  Gouverneursrat  prüft  regelmäßig,  mindestens  alle  fünf  Jahre,  das  maximale Ausleihvolumen  und  ob  das  genhemigte  Grundkapital  des  ESM  hierfür  angemessen  ist.  Er kann die Änderung des  Grundkapitals beschließen und Artikel 8 und Anlage 2 entsprechend ändern. Dieser Beschluss tritt in Kraft, sobald die ESM-Mitglieder die Verwahrstelle über den Abschluss ihrer geltenden nationalen Verfahren in Kenntnis gesetzt haben. Die neuen Anteile werden  den  ESM-Mitgliedern  gemäß  dem  in  Artikel  11 und  in  Anlage  1  definierten Beitragsschlüssel zugeteilt.

Was heißt das? Das bedeutet, dass das Leitungsgremium jederzeit eine Erhöhung des Grundkapitals des ESM beschließen kann, und dieser Beschluss einfach durch Mitteilung wirksam wird. 700 Milliarden reichen nicht? Dann machen wir doch Nägel mit Köpfen und verdoppeln diesen Betrag einfach! Die deutschen Steuerzahler werden das schon schlucken ...

Aber es geht noch weiter!

Artikel 8, Nr. 4:
Die  ESM-Mitglieder  verpflichten  sich  hiermit  bedingungslos  und  unwiderruflichihre Einlage  auf  das  Grundkapital  gemäß  dem  in  Anlage  1 aufgeführten  Beitragsschlüssel  zu leisten.  Sie  haben  allen  Kapitalabrufen  fristgerecht  und  gemäß  den  in  vorliegendem  Vertrag geregelten Bestimmungen Folge zu leisten.

zusammen mit

Artikel 9, Nr. 3:
Der Geschäftsführende Direktor ruft ausstehende und noch nicht geleistete Einlagen auf das Grundkapital  bei  Bedarf  rechtzeitig  ab,  um  einen  Verzug  des  ESM  bezüglich  einer regelmäßigen  oder  sonstigen  Zahlungsverpflichtung  gegenüber  seinen  Gläubigern  zu vermeiden.  Über  jegliche  Abrufe  hat  er  das  Direktorium  und  den  Gouverneursrat  zu informieren.  Wird  festgestellt,  dass  die  dem  ESM  zur  Verfügung  stehenden  Mittel möglicherweise  nicht  ausreichen,  so  hat  der  Geschäftsführende  Direktor  den/die entsprechenden Kapitalabruf(e) schnellstmöglich auszuführen, um zu gewährleisten, dass der ESM  am  entsprechenden  Fälligkeitsdatum  über,  für  eine  vollumfängliche  Leistung  seiner Zahlungsverpflichtungen  gegenüber  seinen  Gläubigern  ausreichende,  finanzielle  Mittel verfügt.  Die  ESM-Mitglieder  sagen  hiermit  unwiderruflich  und  bedingungslos  zu,  bei Anforderung jeglichem  gemäß vorliegendem Absatz durch den Geschäftsführenden  Direktor an  sie  gerichteten  Kapitalabruf  binnen  7  (sieben)  Tagen  nach  Erhalt  dieser  Anforderung nachzukommen.

Schön, nicht war? Zuerst darf der ESM bestimmen wieviel Geld die Euro-Staaten zahlen sollen, und dann müssen die Euro-Staaten alle Rechte aufgeben, sich gegen einen derartigen Beschluss zu wehren. Was ist, wenn eine neu gewählte Regierung das nicht mehr will? Dieser Vertrag ist unwiderruflich, und die Staaten haben kein Recht mehr Bedingungen zu stellen. Die Euro-Staaten verlieren vollständig ihre finanzielle Souveränität.

Aber damit sind wir noch nicht am Schluss!

Artikel 27, Nr 3 bis 6:
3. Der  ESM,  sein  Eigentum,  seine  Finanzmittel  und  Vermögenswerte  genießen  unabhängig von ihrem Standort und Besitzer umfassende gerichtliche Immunität, jedoch nicht, soweit der ESM  für  die  Zwecke  eines  Verfahrens  oder  aufgrund  der  Bedingungen  eines  Vertrags, einschließlich  der  Unterlagen  der  Gründungsurkunden,  ausdrücklich  auf  seine  Immunität verzichtet. 
4. Das Eigentum, die Finanzmittel und Vermögenswerte des ESM sind unabhängig davon, wo und  in  wessen  Besitz  sie  sich  befinden,  von  Zugriff  durch  Durchsuchung,  Beschlagnahme, Einziehung,  Enteignung  und  jede  andere  Form  der  Inbesitznahme,  Wegnahme  oder Zwangsvollstreckung  durch  Regierungshandeln  oder  auf  dem  Gerichts-,  Verwaltungs-  oder Gesetzesweg befreit
5.  Die  Archive  des  ESM  und  alle  ihm  gehörenden  oder  in  seinem  Besitz  befindlichen Dokumente im Allgemeinen sind unverletzlich.  
6. Die Räumlichkeiten des ESM sind unverletzlich.

Artikel 30, Nr. 1:
Die  Gouverneursratsmitglieder,  stellvertretenden  Gouverneursratsmitglieder,  Direktoren, stellvertretenden  Direktoren,  der  Geschäftsführende  Direktor  und  das  Personal  genießen Immunität  von  der  Gerichtsbarkeit  hinsichtlich  der  in  ihrer  amtlichen  Eigenschaft vorgenommenen  Handlungen  und  Unverletzlichkeit  in  Bezug  auf  ihre  amtlichen Schriftstücke,  jedoch  nicht,  wenn  und  soweit  der  Gouverneursrat  diese  Immunität ausdrücklich aufhebt.

Das ESM und sein Personal ist von jeglicher Haftung befreit und darf tun was es will, ohne das Staaten oder Behörden den ESM überprüfen oder zur Rechenschaft ziehen dürfen. Ein Freibrief, wie ihn bestenfalls mittelalterliche Despoten besaßen!

Zum Schluß noch ein kleines Detail:

Artikel 31, Nr. 5:
Das  Personal  des  ESM  unterliegt  für  die  vom  ESM gezahlten  Gehälter  und  Bezüge  nach Maßgabe der vom Gouverneursrat zu beschließenden Regeln einer internen Steuer zugunsten des  ESM.  Ab  dem  Tag  der  Erhebung  dieser  Steuer  sind  diese  Gehälter  und  Bezüge  von  der staatlichen Einkommensteuer befreit.

Das ESM beschließt für seine Mitarbeiter die Höhe der Einkommensteuer selbst, und zahlt diese an sich selbst aus. Genial!

Wenn man diesen Entwurf analysiert, sieht dies so aus, dass der ESM über das Vermögen und die Einkommen aller Euro-Länder in faktisch unbegrenzter Höhe verfügen kann (Artikel 8 Nr. 1 in Verbindung mit Artikel 10 Nr. 1) und die Staaten ohne Einspruchs- und Widerstandsrechte Zahlungsaufforderungen des ESM sofort Folge leisten müssen (Artikel 8 Nr. 4 in Verbindung mit Artikel 9 Nr. 3). Gleichzeitig ist der ESM und dessen Personal jeglicher staatlicher Kontrolle und Maßregelung entzogen und ist weder einer Legislative noch einer Judikative unterworfen (Artikel 27 und Artikel 30).

Das ist der dreisteste Versuch die Herrschaft in Europa einer nichtdemokratisch legitimierten Organisation zu übergeben, der mir bisher untergekommen ist. Jeder möge bitte seinen Bundestagsabgeordneten anschreiben und darauf hinweisen. Ich bin überzeugt davon, dass unsere Ja-Sager im Parlament dies bislang noch gar nicht richtig zur Kenntnis genommen haben.

(c) Foto: Stephan Bratek/geralt  / pixelio.de

Parteien oder Demokratie?

Dieser Beitrag ist Teil 5 von 5 Teilen der Serie Die antidemokratische Parteienoligarchie

360249_r_by_marco-barnebeck_pixelio-kleinDass die etablierten Parteien die Strukturen geschaffen haben, ihre eigene Position gegen Neuankömmlinge in der Parteienlandschaft leicht verteidigen zu können, habe ich in den anderen Teilen dieser Artikelserie bereits gezeigt. Bleibt noch eine letzte Frage zu beantworten: Warum eigentlich Parteien? Man könnte ja auf die Idee kommen, diesen offensichtlichen Machtmissbrauch der etablierten Parteien dort auszuhebeln, wo die Parteien ihre Existenzberechtigung ableiten. Brauchen wir Parteien für die Demokratie, müssen wir sie gar haben?

Schauen wir uns die Gesetzeslage an: Art. 21 des Grundgesetzes sagt im ersten Absatz "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit." Alles Weitere im Grundgesetz zu Parteien versucht nur den Missbrauch von Parteien zu verhindern. Gut, hier ist offensichtlich kein Exklusivitätsanspruch abzuleiten, laut Grundgesetz dürfen Parteien mitwirken, ein Bestimmungsrecht ist hier nicht verankert.

Wenden wir uns nun dem Parteiengesetz zu. Dieses Gesetz ist erst 1967 verabschiedet worden, zu einer Zeit also, als die Parteiendemokratie und ihre mächtigsten Vertreter bereits fest im Sattel der Macht saßen. Kein Wunder, dass dieses Gesetz in recht eigenwilliger Weise eine Ermächtigung für die Rolle der Parteien aus dem Grundgesetz abgeleitet hat. §1 Abs.1 des PartG sagt nun plötzlich: "Die Parteien sind ein verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie erfüllen mit ihrer freien, dauernden Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes eine ihnen nach dem Grundgesetz obliegende und von ihm verbürgte öffentliche Aufgabe."

Wo bitte steht im Verfassungsrecht, dass Parteien notwendig sind? Wo überträgt das Grundgesetz den Parteien die Aufgabe zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung? Ist Art. 21 des Grundgesetzes nicht eher als Erlaubnis zu verstehen, denn als Verpflichtung? Auch die freiheitlich-demokratische Grundordnung erfordert keine Parteien. Parteien sind (überraschenderweise) in der Legaldefinition dieses Begriffes des Bundesverfassungsgesetzes von 1990 nicht mehr vorgesehen, anders noch als in der Erläuterung des Bundesverfassungsgerichtes von 1952, in der das Mehrparteienprinzip noch als Wesenmerkmal der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Erwähnung fand.

Die Parteien haben im deutschen Rechtssystem keine Grundlage für ihre Machtposition, außer der von den Parteien selbst geschaffenen im Parteiengesetz. Und genau dieses Gesetz schafft das Fundament dafür, dass die Machtbastionen der etablierten Parteien so gut wie uneinnehmbar bleiben. Es ist das grundsätzliche Problem der Macht: Wer sie hat, nutzt sie um die Strukturen so zu gestalten, dass sie bleibt. Hier versagt die Gewaltenteilung, da die Parteien der gemeinsame Nenner der Machthabenden in Legislative, Exekutive und Judikative sind. Politische Macht ist heute außerhalb der Parteien unmöglich gemacht worden, und innerhalb des Parteisystems haben sich die wirklich Mächtigen unter Nutzung der Möglichkeiten, die ihnen diese Macht bietet, gegen Angriffe so weit wie möglich abgesichert.

Das Parteiensystem führt die Qualität "freiheitlich-demokratisch" unserer Grundordnung ad absurdum: Es schränkt in unzulässiger die Freiheit ein, an der politischen Willensbildung mitzuwirken, weil die Strukturen der politischen Willensbildung von den Parteien so gestaltet wurden, dass sie außerhalb des Parteiensystems faktisch nicht mehr möglich ist. Es entmachtet die Demokratie, da eine demokratische Mitwirkung faktisch nur noch innerhalb der Regelwerke von Parteien möglich sind, und alle diejenigen, die sich nicht an Parteien binden wollen, von der Teilhabe an der demokratischen Willensbildung ausgeschlossen werden.

Es stellt sich nun nur noch die Frage, wer denn die Parteien beeinflusst, wer die Mächtigen der Politik lenken kann. Aber dies ist ein anderes Thema ...

Foto (c) Marco Barnebeck / pixelio.de

Lebensdauer politischer Parteien

Dieser Beitrag ist Teil 4 von 5 Teilen der Serie Die antidemokratische Parteienoligarchie

293245_r_k_b_by_rainersturm_pixeliode-kleinDer Bundeswahlleiter führt seit 1969 Statistiken über die Parteien in Deutschland. Danach beträgt die durchschnittliche Dauer der Anerkennung einer politischen Vereinigung als Partei in Deutschland 3065 Tage (das sind etwas weniger als 8 1/2 Jahre) von der Gründung als Partei bis zum Datum der Aberkennung der Parteieneigenschaft durch den Bundeswahlleiter. Von den genau 400 politischen Parteien, die in den 40 Jahren seit Beginn der Statistik bis Ende 2008 geführt wurden, haben ziemlich exakt drei Viertel die Anerkennung als Partei bereits wieder verloren, und sind nur noch eine Notiz in den Archiven unserer Republik.

Vier Fünftel dieser verstorbenen Parteien haben bereits vor Erreichen der durchschnittlichen Lebenszeit ihren Eintrag im Parteienregister des Bundeswahlleiters verloren. Nur 40 der heute anerkannten Parteien sind damit statistisch sozusagen auf der sicheren Seite, natürlich einschließlich der 10 im Bundestag und den Landtagen vertretenen Parteien, indem sie die durchschnittliche Lebensdauer einer Partei bereits übertroffen haben. Es gibt aber auch bereits ein halbes Dutzend Parteien, die erst nach Erreichen der doppelten durchschnittlichen Anerkennungszeit ihren Parteienstatus verloren haben. Die statistisch älteste Partei war zum Zeitpunkt der Aberkennung ihres Status als Partei über 34 Jahre lang ununterbrochen registriert. Wenn diese seit 40 Jahren geführte Statistik weitgehend unverändert in die kommenden Jahren übernommen werden kann, werden in den nächsten 8 Jahren von den derzeit beim Bundeswahlleiter registrierten 112 Parteien etwa 70 oder zwei Drittel ihren Status als Partei wieder verlieren.

Gleichzeitig werden in in diesem Zeitraum aber auch ca. 100 neue Parteien entstehen, von denen aber innerhalb dieser 8 Jahre etwa 30 auch bereits wieder aufgeben werden, so dass die Zahl der Parteien insgesamt in etwa konstant bleiben wird. Es gibt allerdings derzeit wieder einen mittelfristigen Trend zu einer langsamen Zunahme der Anzahl der registrierten Parteien in Deutschland.

In den nächsten 2 Wahlperioden werden also voraussichtlich 70 der heute existierenden Parteien durch 70 neue Parteien ersetzt werden. Mal sehen, ob auch programmatisch Änderungen stattfinden. Nur eine dramatische Änderung der gesellschaftspolitischen Bedingungen, die unter dem Eindruck der aktuellen Wirtschaftskrise allerdings nicht so unwahrscheinlich erscheint, würde diese Entwicklung verhindern.

Es stellt sich die Frage, ob der Staat nicht Bedingungen schaffen sollte, die die Parteien als Initiativen zur politischen Meinungsäußerung und Mitwirkung in Deutschland stabilisieren würden. Wenn drei Viertel aller Parteien, die bisher angetreten sind aufgeben mussten, wenn die Lebensdauer einer Partei von ihrer Gründung bis zur offiziellen Aberkennung ihres Status als Partei durch den Bundeswahlleiter nur gut 8 Jahre beträgt, so scheinen die protektionistischen Strukturen, die die herrschende Parteienoligarchie zum Selbstschutz aufgestellt haben, im von ihnen gewünschten Sinne zu funktionieren.

Foto (c) Rainer Sturm / pixelio.de

Die Parteien-Verhinderungs-Strategie

Dieser Beitrag ist Teil 3 von 5 Teilen der Serie Die antidemokratische Parteienoligarchie

308219_r_k_by_hauk-medien-archiv-wwwbayernnachrichtende-alexander-hauk_pixeliode-kleinWer an den Schalthebeln der Macht sitzt, möchte meistens solange wie möglich dort bleiben. Das gilt auch für die Parteien in Deutschland, die in die Parlamente gerutscht sind. Daher haben sie schon früh Regelungen geschaffen, die das Aufkommen neuer Konkurrenten nach Möglichkeit verhindern, aber zumindest erheblich erschweren sollen. Dies geschieht mit vier immer schwieriger zu nehmenden Hürden, die den Weg in die Parlamente für neue und kleine Parteien nahezu unmöglich machen.

1. Hürde - Zulassung als Partei

Nicht jede politische Interessenvertretung wird als Partei zugelassen. Es gibt vielfältige bürokratische und formalistische Regelungen, die zu erfüllen sind. Wer sich nicht mit Staatsbürokratie auseinander setzen möchte, oder grundsätzlich Probleme mit dem Verstehen von Gesetzen, Verordnungen und Formularen hat (die oft scheinbar bewusst so geschrieben und gestaltet sind, dass sie nicht auf Anhieb verständlich sind) scheitert schon hier.

Hinzu kommt, dass ein von den Parteien in den Parlamenten bestimmter Aussschuss mehr oder weniger willkürlich über die Zulassung einer politischen Vereinigung als Partei befinden darf. Das ist in etwa so, als würde ein von Esso, Shell, Aral und BP gebildetes Gremium darüber entscheiden, ob ein Wettbewerber im Markt für Raffinerieprodukte zugelassen werden darf. Darüber hinaus gibt es kaum harte Kriterien, die eine zwingende Zulassung als Partei zur Folge haben, sondern insbesondere bei in keinen Parlamenten vertretenen (neuen) Kleinparteien ist dies eine subjektiven (und den Interessen der etablierten Parteien dienenden) Einschätzungen und Bewertungen folgenden Entscheidung der Ausschussmitglieder überlassen.

Den Kleinparteien, die in der Regel nicht über üppige Finanzmittel verfügen, steht natürlich der Klageweg offen, bis hin zum Bundesverfassungsgericht.

2. Hürde - Zulassung zur Wahl

Wer diese Hürde geschafft hat, sieht sich aber direkt der nächsten gegenüber: Die Erlaubnis, sich als Partei zur Wahl stellen zu dürfen. Es ist nicht so, dass man sich als Partei formgerecht konstitutieren kann, und dann auch gleich an Wahlen teilnehmen dürfte. Diese Hürde ist die komplexeste von allen, weil eine Vielfalt von Voraussetzungen erfüllt werden müssen. Zuerst muss man Unterschriften einsammeln. Das klingt einfacher als es ist, weil dies öffentlich beglaubigte Unterschriften sein müssen. Für eine Europawahl bundesweit 4.000 Stück, das ist ja noch einfach. Für eine Bundestagswahl bereits mindestens ca. 20.000 Unterschriften. Für Landtagswahlen müssen 1% der Wähler des Landes (maximal 2.000) der Partei mit ihrer Unterschrift die Zustimmung geben. Diese Vorschrift gilt (natürlich) nicht für die Parteien, die bereits in einem Parlament vertreten sind - also für diejenigen, die neue Konkurrenz um Wählerstimmen vermeiden möchten.

Hat man diese Unterschriften gesammelt, dann entscheidet der Wahlleiter noch nach ebenfalls nicht ganz klaren Regeln, ob man denn wirklich als Partei tätig ist, ob man genug Mitglieder hat (nach letzten Entscheidungen scheinen es derzeit um die 400 zu sein, die man mindestens benötigt), ob man öffentliche Parteiarbeit leistet, oder ob man ernsthaft an der Mitwirkung bei der Regierung des Landes interessiert ist.

Erst wenn man genug Unterschriften hat und zusätzlich die Zustimmung des zuständigen Wahlleiters bekommen hat, darf man auf die Wahlzettel. Und da gibt es auch noch weitere bürokratische und formalistische Fallstricke bei der Bestellung von Wahlkreiskandidaten und dem Aufstellen von Landeslisten.

3. Hürde - Parteienfinanzierung

Jetzt muss die Partei in den Wahlkampf, und hat dafür nur Geld aus den Mitgliedsbeiträgen der wenigen Parteimitglieder und der einen oder anderen Spende. Mit diesem Budget muss die Partei antreten gegen Organisationen, die mit Millionenbudgets ausgestattet sind, überwiegend aus Staatskassen und aus Spenden der Organisationen, deren Interessen sie vertreten (sollen). Mit viel idealistischer Arbeit und Aufopferung muss die kleine Partei aus eigener Kraft erreichen, zumindest 0,5% der abgegebenen Stimmen bei einer Bundestagswahl oder 1% der Stimmen bei einer Landtagswahl den etablierten Parteien abzutrotzen, während die etablierten Parteien ihre Wahlkämpfer so gut bezahlen können, dass diese Wahlkampf und Parteiarbeit zum Hauptberuf machen können.

Hier Arbeitnehmer, die ohne Geld neben ihrem Brotberuf ihre Partei bewerben wollen, dort hauptberufliche Menschenfischer in großer Zahl, die auch noch aus Geldern bezahlt werden, die zu einem erheblichen Teil von den Steuerzahlern stammen. Sollte man trotz dieser eklatant ungleichen Chancenverteilung es dennoch schaffen die 0,5% oder 1% Grenze zu nehmen und damit in die Parteienfinanzierung zu gelangen, kann man beginnen, sich der letzten und schwierigsten Hürde zu widmen.

4. Hürde - Die 5%-Klausel

Bekannterweise muss man als Partei mehr als 5% der abgegebenen Stimmen erreichen, um in ein Parlament einziehen zu können. Eine kleine Partei hat es dadurch doppelt schwer, weil sie halt nicht nur soviele Menschen von ihren Konzepten überzeugen muss, sondern vor allem auch davon überzeugen muss diese Partei zu wählen, auch wenn die abgegebene Stimme dann womöglich politisch verfällt, weil sie einer Partei gegeben wird, die mit einiger Wahrscheinlichkeit sowieso nicht in das Parlament gewählt wird. Es gibt übrigens einige Diskussionen, dass diese Regelung dem Demokratieprinzip widerspricht und damit verfassungswidrig ist.

 

Diese Taktik hat Methode: Sie soll es kleinen und neuen Parteien so schwer wie möglich machen politische und parlamentarische Bedeutung zu erlangen. Sie verhindert Vielfalt in der Demokratie, und schützt die herrschende Parteienoligarchie vor Wettbewerb.

Foto (c) Alexander Hauk / pixelio.de

Die Parteienfinanzierung

Dieser Beitrag ist Teil 2 von 5 Teilen der Serie Die antidemokratische Parteienoligarchie

363316_r_b_by_gerd-altmann-geralt-_pixeliode-kleinGeld regiert die Welt, und dies gilt auch für die Parteipolitik. Es ist wohl (und leider) nur natürlich, dass die Organisation, die die politische Macht hat, versucht, aus dieser Position auch persönliche finanzielle Vorteile zu ziehen. Das ist hier in Deutschland auch so, und das Instrument dafür heißt staatliche Teilfinanzierung gemäß §§ 18 ff. Parteiengesetz. Es gibt also ein extra Gesetz, dass dies regelt, verabschiedet vom Bundestag, in dem natürlich ausschließlich Vertreter der Organisationen sitzen, die davon profitieren.

Halt!, werden da einige rufen. Die Parteienfinanzierung gilt doch für alle Parteien, auch die, die nicht im Bundestag sitzen. Und ja, das ist richtig, in der Theorie zumindest. Denn die etablierten Parteien waren natürlich schlau genug einen Riegel davor zu schieben, dass jede Partei vom Staat Geld für ihre politische Arbeit bekommt. Die Details dazu werde ich in einem anderen Beitrag thematisieren, aber hier sind die nackten Tatsachen.

Im Jahr 2008 konnten laut Bericht des Deutschen Bundestages von den derzeit 112 registrierten politischen Parteien in Deutschland ganze 18 Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung erhalten. Von den insgesamt 132,5 Mio €, die verteilt wurden, gingen

  • 97% oder 128,2 Mio € an die im Bundestag vertretenen Parteien CDU, CSU, SPD, GRÜNE, DIE LINKE und FDP
  • 2% oder 2,9 Mio € an die in Landtagen vertretenen Parteien NPD und REP
  • 1% oder 1,4 Mio € an Die Tierschutzpartei, FAMILIE, ödp, DIE FRAUEN, DVU, BP, SSW, Volksabstimmung, Eltern und 50Plus, wobei drei Viertel davon an nur drei Parteien aus dieser Gruppe ging.

Die Parteienfinanzierung ist faktisch keine Finanzierung der politischen Willensbildung im Volk, sondern eine Finanzierung der im Bundestag vertretenen Parteien. Das Geld wird ausschließlich dafür verwendet, dass diese Parteien ihren exklusiven Status gegen die noch nicht im Parlament vertretenen Parteien verteidigen können, und dieses Geld haben sich die Parteien unter Nutzung ihres Status in der Gesetzgebung selbst zugesprochen. Die Kasse ist da, und man machte ein Gesetz, dass man da ungestraft hineingreifen konnte. Gleichzeitig sorgte man dafür, dass der Schlüssel zu dieser Kasse so hoch hängt, dass außer einem selbst praktisch niemand herankommt.

Die in den Deutschen Parlamenten vertretenen Parteien bilden nicht nur die Regierungen unseres Landes, sondern greifen auch ungeniert in die Kassen des Landes.

Eine Parteienfinanzierung sollte meines Erachtens nicht dazu dienen, den großen und vermögenden Parteien noch mehr Geld in die Taschen zu schieben als sie 'eh schon haben, sondern sollte dazu dienen, dass neue und kleine Parteien bessere Chancen bekommen sich Gehör zu verschaffen. Dies könnte z.B. eine Parteienfinanzierung erreichen, die umgekehrt progressiv aufgebaut ist, d.h. mit der die finanzielle Unterstützung politischer Arbeit sich vornehmlich an Einzelpersonen und Kleinparteien wendet, und keine unüberwindlich erscheinenden Schranken unterstützt gegen diejenigen, die mit Politik erst beginnen wollen.

Foto (c) Gerd Altmann / pixelio.de

Die antidemokratische Parteienoligarchie

Dieser Beitrag ist Teil 1 von 5 Teilen der Serie Die antidemokratische Parteienoligarchie

In dieser Serie werde ich Artikel veröffentlichen die demonstrieren, dass das Parteiensystem in Deutschland faktisch den demokratischen Prinzipien widerspricht, und es in  jahrzehntelanger Herrschaft erreicht hat Strukturen zu schaffen die dafür sorgen, dass politische Macht in möglichst wenige und möglichst immer die gleichen Hände gegeben wird.

Abwahl von Bürgermeistern

In meinem Politikkonzept weise ich der Abwahl von Mandatsträgern faktisch eine größere demokratische Bedeutung zu als der eigentlichen Einwahl in politische Funktionen. Viele irritiert das, weil sie politische Wahlen nur in einer Richtung kennen: Jemanden in ein Amt hineinwählen. Das Herauswählen kennt man eigentlich nur aus den Medien, wenn über entsprechende Aktivitäten in den Parlamenten berichtet wird.

Tatsächlich aber wurde bereits in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den meisten Bundesländern auch die basisdemokratisch legitimierte Abwahl von Politikern auf kommunaler Ebene, die Bürgermeister-Abwahl, eingeführt. Durch Bürgerbegehren wurden in Deutschland seitdem bereits über 50 Bürgermeister und Bürgermeisterinnen abgewählt, etwa ebenso viele durch Initiativen der Stadt- und Gemeinderäte.

Der Verwaltungswissenschaftler Daniel Fuchs hat dieses Thema bereits 2007 in seiner Diplomarbeit "Die Abwahl von Bügermeistern - Ein bundesweiter Vergleich" an der Universität Potsdam untersucht und beschrieben. Eine sehr empfehlenswerte Lektüre für alle, die sich insbesondere für diesen Aspekt des emancipare Konzepts interessieren. Man kann die Arbeit für 6,00 € hier bestellen, oder kostenlos online hier herunterladen.