Der Sündenbock

644059_web_R_K_B_by_Lisa Spreckelmeyer_pixelio.deIm Zuge der Recherchen für meinen letzten Artikel "Generalverdacht" habe ich versucht, ein wenig tiefer in das Thema Terrorismus einzusteigen. Denn ich hatte eine These: Terrorismus ist überhaupt kein Problem, und schon mal gar nicht in Westeuropa, und erst recht nicht in den USA. Wie immer, sind alle wichtigen Informationen öffentlich zugänglich, man muss nur danach fragen (bzw. suchen).

Da gibt es z.B. die Global Terrorism Database. In dieser Datenbank, die von sich behauptet die vollständigste Datenbank über Terrorismus zu sein, über die die Welt derzeit verfügt, sind über 100.000 terroristische Übergriffe seit 1970 und bis einschließlich 2011 erfasst (spätere sind noch nicht öffentlich zugänglich). Ein gutes Drittel davon, etwas mehr als 31.000, stammen aus den letzten 10 Jahren seit 2002 - scheinbar gibt es mehr Terrorismus in der Welt, seitdem er bekämpft wird.

Wenn man sich diese Datenbank anschaut, dann sieht man, dass im vergangenen Jahrzehnt je Jahr durchschnittlich knapp 6.500 Menschen auf unserem Planeten durch terroristische Angriffe starben. Bei knapp der Hälfte aller terroristischer Anschläge in den vergangenen 10 Jahren (etwa 14.500), gab es überhaupt keine Toten, und noch einmal so viele hatten zwischen 1 und 10 Opfer zur Folge.

Dann schauen wir mal in die Länder, die nun alle Menschen in der Welt unter Generalverdacht gestellt haben, einschließlich ihrer eigenen Bürger. Wie schlimm ist der Terrorismus in Nordamerika, in Westeuropa und in Australien/Ozeanien? Angesichts der Milliarden, die in die Terrorismusbekämpfung gesteckt werden, und der Einschränkung der Freiheitsrechte der Bürger, müssen dass ja erschreckende Zahlen sein. Nun, es waren, für alle drei Regionen zusammen, im Schnitt pro Jahr 138 Terrorismusopfer. Davon gut 110 in Westeuropa, 22 in Nordamerika und ganze 2 in Australien/Ozeanien.

Entschuldigung? Wo ist das Problem? Haben sich die Leute schon mal angeschaut, wieviele Menschen in ihren Ländern jedes Jahr durch Alkohol- oder Tabakmissbrauch sterben? Wo ist der Krieg gegen die Tabak- und Alkohoindustrie? Oder im Straßenverkehr? Wo ist der Krieg gegen die Automobilindustrie? In den USA werden monatlich mehr unschuldige Menschen durch Polizisten getötet als es dort Terrorismus-Opfer im Jahr gibt (Quelle). Vor wem muss der Amerikaner mehr Angst haben, vor Terroristen oder vor den eigenen Polizisten?

Und - wieviele Terroristen werden jedes Jahr in Nordamerika, Westeuropa und Australien gefasst, wie erfolgreich ist der Kampf gegen Terroristen überhaupt? Der im Wesentlichen von den Amerikanern geführte Krieg gegen den Terrorismus tötet mindestens zehmal mehr unbeteiligte und unschuldige Zivilisten als sogenannte "Kollateralschäden", als Terroristen Amerikaner, Westeuropäer und Australier zusammengenommen töten. Hier stimmt irgend etwas ganz und gar nicht. Ein Gesetz, das Unternehmen verbietet es den eigenen Kunden mitzuteilen, wenn es von Geheimgerichten gezwungen wird Informationen über die eigenen Kunden herauszugeben, einschließlich aller vertraglich als "vertraulich" eingestuften Informationen? Wenn das nicht Faschismus ist, was ist dann Faschismus? Und wenn dann jemand dies öffentlich bekannt macht, ist er Terrorist, Hochverräter, Schwerverbrecher? Nach dieser Logik sind dann die Geschwister Scholl wohl auch zu recht hingerichtet worden, oder was?

Rechtfertigen weniger als 150 Tote im Jahr die totale Überwachung aller Menschen, den Freiheitsentzug durch Ermächtigungsgesetze wie den Patriot Act, die Errichtung eines Polzeistaats, wenn gleichzeitig täglich in den gleichen Regionen Tausende durch Alkohol, Tabak und Autos sterben? Da läuft irgendetwas vollkommen schief. Da ist keine Verhältnismäßigkeit mehr.

Könnte es sein, dass es da ganze Industrien gibt, die am Terrorismus blendend verdienen? Wer stellt die Waffen und die Munition her, die in Pakistan, in Afghanistan, in Somalia oder im Irak im Krieg gegen den Terrorirsmus eingesetzt wurden und werden? Was kosten die, wer bezahlt die, und wie hoch sind die Gewinnmargen? Wer verdient daran, dass Alkohol, Tabak oder Autos täglich Tausende töten dürfen? Wer hat einen Vorteil davon, dass Milliarden von Menschen überwacht und Billionen von Daten gespeichert und ausgewertet werden? Diese Fragen sollte man sich mal stellen.

Übrigens - damit das nicht in Vergessenheit gerät - die meisten massiven kriegsauslösenden terroristischen Angriffe waren Aktionen der eigenen Nachrichtendienste gegen den eigenen Staat und dessen Bürger unter falscher Flagge, mit dem Ziel einen Krieg oder einen Kriegseintritt zu rechtfertigen. Recherchieren Sie einfach mal - und nicht nur 9/11! So wie die NPD und die rechtsnationale Szene in Deutschland zunehmend als eine Aktion des Bundesnachrichtendienstes erscheint, so erscheint auch der internationale Terrorismus (zumindest Außerhalb von Süd-Ost Asien und dem Nahen Osten), als eine Aktion von Nachrichtendiensten.

Denken Sie doch einfach mal nach. Was hindert einen überzeugten Terroristen daran mit einer der vielen, vielen panzerbrechenden Raketen, die man jeden Tag im Fernsehen in den Händen von Nicht-Kombatanten sieht, damit ein Kernkraftwerk in den USA oder Frankreich zu zerstören? Einreiseprobleme? Skrupel? Warum ist das bisher denn noch nie passiert? Etwa weil die Nachrichtendienste so gut arbeiten? Genau die, die keine Ahnung von der NSA Spionage haben und vollkommen überrascht sind, dass das Handy unserer Kanzlerin abgehört wird? Wer eine Bombe bauen will, kann das heutzutage völlig problemlos. Die Anleitungen gibt es im Internet, das Material im Baumarkt. Nur die Terroristen, die so etwas tun würden, scheint es nicht zu geben.

Ich bin überzeugt: Der Krieg gegen den Terrorismus ist eine Aktion unter falscher Flagge. Es geht in Wirklichkeit um die möglichst vollständige Überwachung der Menschen auf diesem Planeten, vor allem in den industrialisierten Ländern. Es stellt sich da mal wieder die Frage: Qui Bono?

Die westlichen Regierungen überspannen den Bogen. Wir befinden uns in einer Zeit die vergleichbar ist mit der zweiten Hälfte der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts in Frankreich. Man kann fast zusehen, wie das Agressionspotential überall auf dem Globus steigt. Man glaubt die Menschen dauerhaft für Dumm verkaufen zu können, und dies wird sich letztendlich als ein fataler Trugschluss erweisen. Das Fass ist zum Bersten gefüllt und wird bald explodieren, die Lunte ist schon angezündet. Der sogenannte Krieg gegen den Terrorismus ist nichts als ein weiterer Versuch die Menschen in der Welt noch eine Zeitlang weiter zu unterdrücken, damit ein paar Wenige noch eine Zeitlang länger die Menschen auspressen und die Früchte ihrer Arbeit einsacken können.

(c) Foto: Lisa Spreckelmeyer  / pixelio.de

Gewaltenteilung oder Feudalismus?

Im April 2010 legte Paul Kirchhof, vormals Verfassungsrichter und 2005 designierter Finanzministerkandidat der CDU, ein Gutachten vor, für dessen Erstellung er von ARD, ZDF und Deutschlandfunk beauftragt und bezahlt wurde. In diesem Gutachten beschrieb er eine mögliche neue Organisation der Rundfunkgebührenerhebung, die natürlich und wenig überraschend, im Interesse der Auftraggeber ausfiel. Auf der Basis dieses Gutachtens haben dann die Länder im Dezember 2010 die neue Finanzierungsordnung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschlossen. Soweit die Geschichte.

Es ist bekannt, dass diese neue Rundfunkgebühr auf viel Widerstand stößt. Es kommt nun nicht mehr darauf an, ob man überhaupt in der Lage ist Fernsehen zu schauen oder Radio zu hören, alleine die Tatsache dass man lebt und wohnt reicht, um dafür an die Rundfunkanstalten bezahlen zu müssen. Ich persönlich habe seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts keinen Fernseher mehr, und muss nun etwa dreimal soviel an ARD, ZDF und Deutschlandfunk überweisen wie vorher.

Aber darum geht es in diesem Artikel eigentlich gar nicht. Einige haben natürlich gegen die neue Rundfunkgebühr geklagt. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Vorwürfe wegen Verletzungen der Datenschutzrechte (die Gebühreneinzugsbehörde kann ohne Erlaubnis der Betroffenen und ohne richterliche Genehmigung von Behörden Daten über alle Menschen einziehen) oder gegen die Tatsache, dass es sich hier eigentlich nicht um eine Gebühr, sondern um eine Steuer handelt, die aber auf dem beschrittenen Wege gar nicht beschlossen werden kann.

Wie dem auch sei, vor ein paar Tagen wurde wieder mal so eine Klage vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen. Was uns zum Anfang dieses Artikels zurückführt. Da die Klage sich gegen die neue Rundfunkgebühr richtet, und diese auf Grundlage des Gutachtens von Paul Kirchhof gestaltet wurde, richtete sich die Klage natürlich auch gegen die Legitimität der Vorschläge von Paul Kirchhof. Diese Klage wurde, wie fast alle anderen Klagen auch, ohne Begründung abgelehnt. Die Verfasser des Ablehnungsbeschlusses waren Ferdinand Kirchhof, Susanne Baer und Johannes Masing. Ferdinand Kirchhof?! Ja, Ferdinand Kirchhof, der jüngere Bruder von Paul Kirchhof.

Eigentlich unfassbar, dass jemand über einen Sachverhalt höchstrichterlich entscheiden darf und kann, der von seinem eigenen Bruder eingefädelt wurde. Was mich nun endlich zum eigentlichen Zweck dieses Artikels führt.

Wir alle lernen schon in der Schule, wie wichtig und gut Demokratie ist. Dass ein wesentliches Merkmal funktionierender Demokratie - und damit Kernbestandteil der politischen Ordnung in Deutschland - die Gewaltenteilung ist. Wenn man sich ein wenig intensiver damit auseinander setzt muss man allerdings zu seinem eigenen Erstaunen und Entsetzen feststellen, dass es in der deutschen politischen Wirklichkeit gar keine Gewaltenteilung gibt.

Die rechtsprechende Gewalt, die Legislative, macht keine Gesetze, sondern führt die Initiativen der regierenden Gewalt, der Exekutive aus. Die Judikative unterliegt der Überwachung, Steuerung und personellen Führung durch das Justizministerium, einem Teil der Exekutive. In einigen anderen Staaten wird zumindest strukturell und formal das Gewaltenteilungsprinzip erfüllt. Da sind die Parlamente nicht nur Abnickgremien für Gesetzesvorschläge der Regierung, und die Richter unterliegen nicht der personalpolitischen Überwachung und Steuerung eines Ministeriums.

Die Exekutive, die Regierung, hält bei uns also auch die legislativen und die judikativen Zügel fest in beiden Händen. Da stellt sich dann die Frage, wer ist denn die Exekutive? Das sind in Deutschland seit Jahrzehnten vier Parteien: Die CDU/CSU, die SPD, die Grünen und die FDP. Dies sind die Erzherzöge unserer Zeit, mit vollkommener Macht ausgestattet - und genauso abhängig und hörig gegenüber den Besitzenden wie die Erzherzöge im Mittelalter. Und diese Besitzenden sind der Erbadel unserer Zeit, wo die Kinder die finanzielle Macht ihrer Eltern erben, und damit den Tropf besitzen, den die politische Macht zum Überleben braucht.

Willkommen zurück im real existierenden Feudalismus. Gewaltenteilung war eine gute Idee, aber sie hat sich offensichtlich - zumindest in Deutschland - nicht durchgesetzt. Darum kann heute der jüngere Bruder höchstrichterlich über die Rechtmäßigkeit von Strukturen befinden, die sein älterer Bruder - einer der Favoriten eines der Erzherzöge unserer Zeit - für einen Auftraggeber entwickelt hat, der wiederum im Wesentlichen für diese Erzherzöge tätig ist. Hier kommt alles zusammen. Die Exekutive will eine neue Ordnung der Rundfunkgebühren, die Legislative nickt pflichtergeben (Fraktionszwang!) den Vorschlag der Exekutive ab, und die Judikative schützt die Exekutive vor dem Mob, der wieder mal ein kleines bisschen mehr ausgeplündert wird. Und am Schluss freuen sich die Besitzenden, denen über Umwege weitere etwa 8 Milliarden Euro aus den Taschen der gemeinen Bürger in die eigenen Tresore fließen.

(c) Foto: Ingo Büsing  / pixelio.de

Scheindemokratie

Wir haben in Deutschland eine sogenannte repräsentative Demokratie. Dies bedeutet, dass aus der Menge der Bürger gewählte Personen die Interessen ihrer Wähler im Gesetzgebungsverfahren vertreten. Sollte man meinen.

Es gibt viele Hinweise darauf, dass dies leider nicht der Fall ist. Zum Einen hat der Bürger kaum die Möglichkeit, seinen Willen gegenüber dem gewählten Abgeordneten zu artikulieren. Sie müssen arbeiten, Kinder erziehen, wollen sich ihren Hobbies widmen und sorgen sich ganz allgemein darum, wie sie im nächsten Monat alle Rechnungen bezahlen sollen. (Große) Unternehmen haben es da etwas einfacher: Sie bezahlen Leute, deren Job es ist 8 bis 10 Stunden täglich auf Politiker einzuwirken, damit diese das tun, was die Unternehmen wollen.

Dann gibt es den sogenannten Fraktionszwang. Auch wenn sie sie kennen sollten - die gewählten Volksvertreter dürfen gar nicht die Interessen ihrer Wähler vertreten, sondern müssen die Interessen Ihrer Partei vertreten. Tun sie das nicht, werden sie bei der nächsten Wahl nicht mehr aufgestellt: Friss oder stirb! Wer sich nicht willfährig verhält, wird rausgeworfen. Da ist den meisten Politikern die Geldbörse und das Einkommen näher als die Interessen ihrer Wähler.

Kürzlich bin ich auf einen weiteren Aspekt gestoßen, der wohl so unglaublich ist, dass niemand darüber spricht: Die wichtigste Aufgabe der Abgeordneten, das Abstimmen über Gesetze, wird marginalisiert und zum lästigen Beiwerk degradiert. Wir alle erinnern uns an die bizarre Abstimmung über das Meldegesetz, das es Adresshändlern erlauben sollte, Meldedaten von den Gemeinden zu kaufen, ohne dass Letztere dafür die Einwilligung der betroffenen Bürger einholen müssen. Knapp 30 Abgeordnete stimmten darüber ab und im Ergebnis dafür. Die anderen guckten wohl Fussball, man muss ja Prioritäten setzen ...

Wie konnte das möglich sein? Wir kennen das aus allen möglichen Satzungen von Vereinen, Unternehmen, Stiftungen etc. dass eine Mindestzahl von Angehörigen der Organisation anwesend sein muss, damit eine Abstimmung möglich und gültig ist. Das ist auch beim Bundestag so - auf den ersten Blick. Im §45 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags steht im Absatz (1):

Der Bundestag ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist.

Das klingt ja schon mal gut und ziemlich eindeutig. Aber dann gibt es da ja noch den Absatz (2):

Wird vor Beginn einer Abstimmung die Beschlußfähigkeit von einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages bezweifelt und auch vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht oder wird die Beschlußfähigkeit vom Sitzungsvorstand im Einvernehmen mit den Fraktionen bezweifelt, so ist in Verbindung mit der Abstimmung die Beschlußfähigkeit durch Zählung der Stimmen nach §51, im Laufe einer Kernzeit-Debatte im Verfahren nach §52 festzustellen. Der Präsident kann die Abstimmung auf kurze Zeit aussetzen.

Es ist nicht die Tatsache relevant, dass z.B. nur 30 von derzeit 620 gewählten Abgeordneten anwesend sind, und damit der Bundestag gemäß §45 (1) der Geschäftsordnung nicht beschlussfähig ist, sondern das muss jemand ausdrücklich sagen. Und da reicht nicht einer der die Augen aufmacht und bemerkt, dass nur so Wenige da sind, nein, nur Fraktionen oder - fraktionsübergreifend - mindestens 5% der (noch) Anwesenden müssen sich zusammensetzen, ein Votum vereinbaren, und damit zum amtierenden Sitzungsleiter marschieren mit der Aufforderung, dieser möge doch die Beschlussfähigkeit des Bundestags überprüfen. Es verwundert da nicht, dass zwischen 1990 und 2009 (bis dahin sind statistische Daten veröffentlicht) nur 9 (!) mal die Feststellung der Beschlussunfähigkeit des Bundestags gefordert worden ist, also so ungefähr einmal alle 2 Jahre, oder etwa 2mal je Legislaturperiode.

Ich konnte es irgendwo lesen, dass es üblich sei, die Anzahl der anwesenden Abgeordneten einfach zu ignorieren, und abzustimmen. Das machte mich neugierig: Ich wollte wissen, wie häufig denn weniger als 50% der Abgeordneten über ein Gesetz beschließen. Da erlebte ich die nächste Überraschung, denn das weiß niemand.

Je Legislaturperiode werden um die 500 Gesetze beschlossen, +/- etwa 100. Wieviele Abgeordnete bei den Abstimmungen anwesend sind, wird nur festgehalten, wenn eine Fraktion oder eine Gruppe von 5% der bei der Abstimmung anwesenden Abgeordneten (§52 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags) eine namentliche Abstimmung beantragt. Und dies passiert nur in etwas mehr als 1/4 (genau 28,1% zwischen 1990 und 2009) der Abstimmungen über Gesetze. Bei der überwiegenden Mehrheit der Abstimmungen über Gesetze weiß niemand genau, wieviele abgestimmt haben, wieviele dafür oder dagegen waren, und wieviele sich der Stimme enthalten haben. Der Sitzungsleiter ruft zur Abstimmung auf, Leute heben die Hand oder stehen auf, der Sitzungsleiter guckt, und stellt Zustimmung oder Ablehnung fest. Das war's. So funktioniert die Gesetzgebung in Deutschland. Da wird nichts aufgeschrieben, nichts nachgehalten, nichts überprüft, nichts notiert. Übrigens, auf meine ungläubige Nachfrage machte man mir Hoffnung. Es gibt doch eine Möglichkeit festzustellen, wieviele anwesend waren: Seit ein paar Jahren gibt es Videoaufzeichnungen von den Abstimmungen. Die kann man sich anschauen und die anwesenden Leute zählen. Manchmal auch, wieviele wie abgestimmt haben.

Die wesentliche, höchste, hoheitliche Aufgabe des Abgeordneten ist die Wahrnehmung seiner legislativen Funktion. Seine Mitwirkung an der Gesetzgebung. So sagt man uns, so lernen unsere Kinder das. Dass unser Bundestag bei etwa 3/4 der Gesetzesbeschlüsse noch nicht einmal weiß, wieviele abgestimmt haben, und wieviele genau dafür oder dagegen waren, kann man da gar nicht glauben. Es ist aber so. Scheindemokratie. Die Frage ist, warum ist das so? Meine Antwort: Wenn man nicht weiß, wer wie abgestimmt hat, kann man auch niemanden zur Rechenschaft ziehen.

(c) Foto:Siegfried Baier  / pixelio.de

Das Ende der Demokratie in Europa

Die Finanzkrise bewegt uns nun schon zwei bis drei Jahre, und so lange hat es gedauert bis die die Politik steuernde Finanzdienstleistungsindustrie daraus etwas machen konnte, was vielleicht der letzte Schritt zur endgültigen Übernahme der Herrschaft in Europa sein könnte. Dieser Schritt ist der ESM, der Europäische Stabilitätsmechanismus. Drei Buchstaben, deren Bedeutung kaum jemand versteht, und von denen nur wenige wissen, welche Konsequenzen damit verbunden sind. Dabei kann man sie im derzeit vorliegen Vertragsentwurf nachlesen. Und was dort steht, ist nicht nur erschreckend, hier wird das Ende der Demokratie in Europa beschrieben, so wie wir sie kennen. Es ist die konsequente Fortsetzung der Unterdrückung der europäischen Bevölkerung, wie sie im Lissaboner Vertrag festgeschrieben wurde.

So steht im Vertragsentwurf zum ESM zum Beispiel:

Artikel 8, Nr 1:
Das Grundkapital beträgt 700.000.000.000 EUR (siebenhundert Milliarden Euro). Es wird aufgeteilt  in  7  (sieben)  Millionen  Anteile  mit  einem  Nennwert  von  je  100.000  EUR (einhunderttausend  Euro),  die  gemäß  dem  in  Artikel 11  definierten  und  in  der  Anlage  1 berechneten ursprünglichen Beitragsschlüssel zur Zeichnung zur Verfügung stehen.

Schön und gut, das wissen wir ja schon aus der Presse. Was uns verschwiegen wird, steht in

Artikel 10, Nr. 1:
Der  Gouverneursrat  prüft  regelmäßig,  mindestens  alle  fünf  Jahre,  das  maximale Ausleihvolumen  und  ob  das  genhemigte  Grundkapital  des  ESM  hierfür  angemessen  ist.  Er kann die Änderung des  Grundkapitals beschließen und Artikel 8 und Anlage 2 entsprechend ändern. Dieser Beschluss tritt in Kraft, sobald die ESM-Mitglieder die Verwahrstelle über den Abschluss ihrer geltenden nationalen Verfahren in Kenntnis gesetzt haben. Die neuen Anteile werden  den  ESM-Mitgliedern  gemäß  dem  in  Artikel  11 und  in  Anlage  1  definierten Beitragsschlüssel zugeteilt.

Was heißt das? Das bedeutet, dass das Leitungsgremium jederzeit eine Erhöhung des Grundkapitals des ESM beschließen kann, und dieser Beschluss einfach durch Mitteilung wirksam wird. 700 Milliarden reichen nicht? Dann machen wir doch Nägel mit Köpfen und verdoppeln diesen Betrag einfach! Die deutschen Steuerzahler werden das schon schlucken ...

Aber es geht noch weiter!

Artikel 8, Nr. 4:
Die  ESM-Mitglieder  verpflichten  sich  hiermit  bedingungslos  und  unwiderruflichihre Einlage  auf  das  Grundkapital  gemäß  dem  in  Anlage  1 aufgeführten  Beitragsschlüssel  zu leisten.  Sie  haben  allen  Kapitalabrufen  fristgerecht  und  gemäß  den  in  vorliegendem  Vertrag geregelten Bestimmungen Folge zu leisten.

zusammen mit

Artikel 9, Nr. 3:
Der Geschäftsführende Direktor ruft ausstehende und noch nicht geleistete Einlagen auf das Grundkapital  bei  Bedarf  rechtzeitig  ab,  um  einen  Verzug  des  ESM  bezüglich  einer regelmäßigen  oder  sonstigen  Zahlungsverpflichtung  gegenüber  seinen  Gläubigern  zu vermeiden.  Über  jegliche  Abrufe  hat  er  das  Direktorium  und  den  Gouverneursrat  zu informieren.  Wird  festgestellt,  dass  die  dem  ESM  zur  Verfügung  stehenden  Mittel möglicherweise  nicht  ausreichen,  so  hat  der  Geschäftsführende  Direktor  den/die entsprechenden Kapitalabruf(e) schnellstmöglich auszuführen, um zu gewährleisten, dass der ESM  am  entsprechenden  Fälligkeitsdatum  über,  für  eine  vollumfängliche  Leistung  seiner Zahlungsverpflichtungen  gegenüber  seinen  Gläubigern  ausreichende,  finanzielle  Mittel verfügt.  Die  ESM-Mitglieder  sagen  hiermit  unwiderruflich  und  bedingungslos  zu,  bei Anforderung jeglichem  gemäß vorliegendem Absatz durch den Geschäftsführenden  Direktor an  sie  gerichteten  Kapitalabruf  binnen  7  (sieben)  Tagen  nach  Erhalt  dieser  Anforderung nachzukommen.

Schön, nicht war? Zuerst darf der ESM bestimmen wieviel Geld die Euro-Staaten zahlen sollen, und dann müssen die Euro-Staaten alle Rechte aufgeben, sich gegen einen derartigen Beschluss zu wehren. Was ist, wenn eine neu gewählte Regierung das nicht mehr will? Dieser Vertrag ist unwiderruflich, und die Staaten haben kein Recht mehr Bedingungen zu stellen. Die Euro-Staaten verlieren vollständig ihre finanzielle Souveränität.

Aber damit sind wir noch nicht am Schluss!

Artikel 27, Nr 3 bis 6:
3. Der  ESM,  sein  Eigentum,  seine  Finanzmittel  und  Vermögenswerte  genießen  unabhängig von ihrem Standort und Besitzer umfassende gerichtliche Immunität, jedoch nicht, soweit der ESM  für  die  Zwecke  eines  Verfahrens  oder  aufgrund  der  Bedingungen  eines  Vertrags, einschließlich  der  Unterlagen  der  Gründungsurkunden,  ausdrücklich  auf  seine  Immunität verzichtet. 
4. Das Eigentum, die Finanzmittel und Vermögenswerte des ESM sind unabhängig davon, wo und  in  wessen  Besitz  sie  sich  befinden,  von  Zugriff  durch  Durchsuchung,  Beschlagnahme, Einziehung,  Enteignung  und  jede  andere  Form  der  Inbesitznahme,  Wegnahme  oder Zwangsvollstreckung  durch  Regierungshandeln  oder  auf  dem  Gerichts-,  Verwaltungs-  oder Gesetzesweg befreit
5.  Die  Archive  des  ESM  und  alle  ihm  gehörenden  oder  in  seinem  Besitz  befindlichen Dokumente im Allgemeinen sind unverletzlich.  
6. Die Räumlichkeiten des ESM sind unverletzlich.

Artikel 30, Nr. 1:
Die  Gouverneursratsmitglieder,  stellvertretenden  Gouverneursratsmitglieder,  Direktoren, stellvertretenden  Direktoren,  der  Geschäftsführende  Direktor  und  das  Personal  genießen Immunität  von  der  Gerichtsbarkeit  hinsichtlich  der  in  ihrer  amtlichen  Eigenschaft vorgenommenen  Handlungen  und  Unverletzlichkeit  in  Bezug  auf  ihre  amtlichen Schriftstücke,  jedoch  nicht,  wenn  und  soweit  der  Gouverneursrat  diese  Immunität ausdrücklich aufhebt.

Das ESM und sein Personal ist von jeglicher Haftung befreit und darf tun was es will, ohne das Staaten oder Behörden den ESM überprüfen oder zur Rechenschaft ziehen dürfen. Ein Freibrief, wie ihn bestenfalls mittelalterliche Despoten besaßen!

Zum Schluß noch ein kleines Detail:

Artikel 31, Nr. 5:
Das  Personal  des  ESM  unterliegt  für  die  vom  ESM gezahlten  Gehälter  und  Bezüge  nach Maßgabe der vom Gouverneursrat zu beschließenden Regeln einer internen Steuer zugunsten des  ESM.  Ab  dem  Tag  der  Erhebung  dieser  Steuer  sind  diese  Gehälter  und  Bezüge  von  der staatlichen Einkommensteuer befreit.

Das ESM beschließt für seine Mitarbeiter die Höhe der Einkommensteuer selbst, und zahlt diese an sich selbst aus. Genial!

Wenn man diesen Entwurf analysiert, sieht dies so aus, dass der ESM über das Vermögen und die Einkommen aller Euro-Länder in faktisch unbegrenzter Höhe verfügen kann (Artikel 8 Nr. 1 in Verbindung mit Artikel 10 Nr. 1) und die Staaten ohne Einspruchs- und Widerstandsrechte Zahlungsaufforderungen des ESM sofort Folge leisten müssen (Artikel 8 Nr. 4 in Verbindung mit Artikel 9 Nr. 3). Gleichzeitig ist der ESM und dessen Personal jeglicher staatlicher Kontrolle und Maßregelung entzogen und ist weder einer Legislative noch einer Judikative unterworfen (Artikel 27 und Artikel 30).

Das ist der dreisteste Versuch die Herrschaft in Europa einer nichtdemokratisch legitimierten Organisation zu übergeben, der mir bisher untergekommen ist. Jeder möge bitte seinen Bundestagsabgeordneten anschreiben und darauf hinweisen. Ich bin überzeugt davon, dass unsere Ja-Sager im Parlament dies bislang noch gar nicht richtig zur Kenntnis genommen haben.

(c) Foto: Stephan Bratek/geralt  / pixelio.de

Parteien oder Demokratie?

Dieser Beitrag ist Teil 5 von 5 Teilen der Serie Die antidemokratische Parteienoligarchie

360249_r_by_marco-barnebeck_pixelio-kleinDass die etablierten Parteien die Strukturen geschaffen haben, ihre eigene Position gegen Neuankömmlinge in der Parteienlandschaft leicht verteidigen zu können, habe ich in den anderen Teilen dieser Artikelserie bereits gezeigt. Bleibt noch eine letzte Frage zu beantworten: Warum eigentlich Parteien? Man könnte ja auf die Idee kommen, diesen offensichtlichen Machtmissbrauch der etablierten Parteien dort auszuhebeln, wo die Parteien ihre Existenzberechtigung ableiten. Brauchen wir Parteien für die Demokratie, müssen wir sie gar haben?

Schauen wir uns die Gesetzeslage an: Art. 21 des Grundgesetzes sagt im ersten Absatz "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit." Alles Weitere im Grundgesetz zu Parteien versucht nur den Missbrauch von Parteien zu verhindern. Gut, hier ist offensichtlich kein Exklusivitätsanspruch abzuleiten, laut Grundgesetz dürfen Parteien mitwirken, ein Bestimmungsrecht ist hier nicht verankert.

Wenden wir uns nun dem Parteiengesetz zu. Dieses Gesetz ist erst 1967 verabschiedet worden, zu einer Zeit also, als die Parteiendemokratie und ihre mächtigsten Vertreter bereits fest im Sattel der Macht saßen. Kein Wunder, dass dieses Gesetz in recht eigenwilliger Weise eine Ermächtigung für die Rolle der Parteien aus dem Grundgesetz abgeleitet hat. §1 Abs.1 des PartG sagt nun plötzlich: "Die Parteien sind ein verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie erfüllen mit ihrer freien, dauernden Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes eine ihnen nach dem Grundgesetz obliegende und von ihm verbürgte öffentliche Aufgabe."

Wo bitte steht im Verfassungsrecht, dass Parteien notwendig sind? Wo überträgt das Grundgesetz den Parteien die Aufgabe zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung? Ist Art. 21 des Grundgesetzes nicht eher als Erlaubnis zu verstehen, denn als Verpflichtung? Auch die freiheitlich-demokratische Grundordnung erfordert keine Parteien. Parteien sind (überraschenderweise) in der Legaldefinition dieses Begriffes des Bundesverfassungsgesetzes von 1990 nicht mehr vorgesehen, anders noch als in der Erläuterung des Bundesverfassungsgerichtes von 1952, in der das Mehrparteienprinzip noch als Wesenmerkmal der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Erwähnung fand.

Die Parteien haben im deutschen Rechtssystem keine Grundlage für ihre Machtposition, außer der von den Parteien selbst geschaffenen im Parteiengesetz. Und genau dieses Gesetz schafft das Fundament dafür, dass die Machtbastionen der etablierten Parteien so gut wie uneinnehmbar bleiben. Es ist das grundsätzliche Problem der Macht: Wer sie hat, nutzt sie um die Strukturen so zu gestalten, dass sie bleibt. Hier versagt die Gewaltenteilung, da die Parteien der gemeinsame Nenner der Machthabenden in Legislative, Exekutive und Judikative sind. Politische Macht ist heute außerhalb der Parteien unmöglich gemacht worden, und innerhalb des Parteisystems haben sich die wirklich Mächtigen unter Nutzung der Möglichkeiten, die ihnen diese Macht bietet, gegen Angriffe so weit wie möglich abgesichert.

Das Parteiensystem führt die Qualität "freiheitlich-demokratisch" unserer Grundordnung ad absurdum: Es schränkt in unzulässiger die Freiheit ein, an der politischen Willensbildung mitzuwirken, weil die Strukturen der politischen Willensbildung von den Parteien so gestaltet wurden, dass sie außerhalb des Parteiensystems faktisch nicht mehr möglich ist. Es entmachtet die Demokratie, da eine demokratische Mitwirkung faktisch nur noch innerhalb der Regelwerke von Parteien möglich sind, und alle diejenigen, die sich nicht an Parteien binden wollen, von der Teilhabe an der demokratischen Willensbildung ausgeschlossen werden.

Es stellt sich nun nur noch die Frage, wer denn die Parteien beeinflusst, wer die Mächtigen der Politik lenken kann. Aber dies ist ein anderes Thema ...

Foto (c) Marco Barnebeck / pixelio.de