Der Sündenbock

644059_web_R_K_B_by_Lisa Spreckelmeyer_pixelio.deIm Zuge der Recherchen für meinen letzten Artikel "Generalverdacht" habe ich versucht, ein wenig tiefer in das Thema Terrorismus einzusteigen. Denn ich hatte eine These: Terrorismus ist überhaupt kein Problem, und schon mal gar nicht in Westeuropa, und erst recht nicht in den USA. Wie immer, sind alle wichtigen Informationen öffentlich zugänglich, man muss nur danach fragen (bzw. suchen).

Da gibt es z.B. die Global Terrorism Database. In dieser Datenbank, die von sich behauptet die vollständigste Datenbank über Terrorismus zu sein, über die die Welt derzeit verfügt, sind über 100.000 terroristische Übergriffe seit 1970 und bis einschließlich 2011 erfasst (spätere sind noch nicht öffentlich zugänglich). Ein gutes Drittel davon, etwas mehr als 31.000, stammen aus den letzten 10 Jahren seit 2002 - scheinbar gibt es mehr Terrorismus in der Welt, seitdem er bekämpft wird.

Wenn man sich diese Datenbank anschaut, dann sieht man, dass im vergangenen Jahrzehnt je Jahr durchschnittlich knapp 6.500 Menschen auf unserem Planeten durch terroristische Angriffe starben. Bei knapp der Hälfte aller terroristischer Anschläge in den vergangenen 10 Jahren (etwa 14.500), gab es überhaupt keine Toten, und noch einmal so viele hatten zwischen 1 und 10 Opfer zur Folge.

Dann schauen wir mal in die Länder, die nun alle Menschen in der Welt unter Generalverdacht gestellt haben, einschließlich ihrer eigenen Bürger. Wie schlimm ist der Terrorismus in Nordamerika, in Westeuropa und in Australien/Ozeanien? Angesichts der Milliarden, die in die Terrorismusbekämpfung gesteckt werden, und der Einschränkung der Freiheitsrechte der Bürger, müssen dass ja erschreckende Zahlen sein. Nun, es waren, für alle drei Regionen zusammen, im Schnitt pro Jahr 138 Terrorismusopfer. Davon gut 110 in Westeuropa, 22 in Nordamerika und ganze 2 in Australien/Ozeanien.

Entschuldigung? Wo ist das Problem? Haben sich die Leute schon mal angeschaut, wieviele Menschen in ihren Ländern jedes Jahr durch Alkohol- oder Tabakmissbrauch sterben? Wo ist der Krieg gegen die Tabak- und Alkohoindustrie? Oder im Straßenverkehr? Wo ist der Krieg gegen die Automobilindustrie? In den USA werden monatlich mehr unschuldige Menschen durch Polizisten getötet als es dort Terrorismus-Opfer im Jahr gibt (Quelle). Vor wem muss der Amerikaner mehr Angst haben, vor Terroristen oder vor den eigenen Polizisten?

Und - wieviele Terroristen werden jedes Jahr in Nordamerika, Westeuropa und Australien gefasst, wie erfolgreich ist der Kampf gegen Terroristen überhaupt? Der im Wesentlichen von den Amerikanern geführte Krieg gegen den Terrorismus tötet mindestens zehmal mehr unbeteiligte und unschuldige Zivilisten als sogenannte "Kollateralschäden", als Terroristen Amerikaner, Westeuropäer und Australier zusammengenommen töten. Hier stimmt irgend etwas ganz und gar nicht. Ein Gesetz, das Unternehmen verbietet es den eigenen Kunden mitzuteilen, wenn es von Geheimgerichten gezwungen wird Informationen über die eigenen Kunden herauszugeben, einschließlich aller vertraglich als "vertraulich" eingestuften Informationen? Wenn das nicht Faschismus ist, was ist dann Faschismus? Und wenn dann jemand dies öffentlich bekannt macht, ist er Terrorist, Hochverräter, Schwerverbrecher? Nach dieser Logik sind dann die Geschwister Scholl wohl auch zu recht hingerichtet worden, oder was?

Rechtfertigen weniger als 150 Tote im Jahr die totale Überwachung aller Menschen, den Freiheitsentzug durch Ermächtigungsgesetze wie den Patriot Act, die Errichtung eines Polzeistaats, wenn gleichzeitig täglich in den gleichen Regionen Tausende durch Alkohol, Tabak und Autos sterben? Da läuft irgendetwas vollkommen schief. Da ist keine Verhältnismäßigkeit mehr.

Könnte es sein, dass es da ganze Industrien gibt, die am Terrorismus blendend verdienen? Wer stellt die Waffen und die Munition her, die in Pakistan, in Afghanistan, in Somalia oder im Irak im Krieg gegen den Terrorirsmus eingesetzt wurden und werden? Was kosten die, wer bezahlt die, und wie hoch sind die Gewinnmargen? Wer verdient daran, dass Alkohol, Tabak oder Autos täglich Tausende töten dürfen? Wer hat einen Vorteil davon, dass Milliarden von Menschen überwacht und Billionen von Daten gespeichert und ausgewertet werden? Diese Fragen sollte man sich mal stellen.

Übrigens - damit das nicht in Vergessenheit gerät - die meisten massiven kriegsauslösenden terroristischen Angriffe waren Aktionen der eigenen Nachrichtendienste gegen den eigenen Staat und dessen Bürger unter falscher Flagge, mit dem Ziel einen Krieg oder einen Kriegseintritt zu rechtfertigen. Recherchieren Sie einfach mal - und nicht nur 9/11! So wie die NPD und die rechtsnationale Szene in Deutschland zunehmend als eine Aktion des Bundesnachrichtendienstes erscheint, so erscheint auch der internationale Terrorismus (zumindest Außerhalb von Süd-Ost Asien und dem Nahen Osten), als eine Aktion von Nachrichtendiensten.

Denken Sie doch einfach mal nach. Was hindert einen überzeugten Terroristen daran mit einer der vielen, vielen panzerbrechenden Raketen, die man jeden Tag im Fernsehen in den Händen von Nicht-Kombatanten sieht, damit ein Kernkraftwerk in den USA oder Frankreich zu zerstören? Einreiseprobleme? Skrupel? Warum ist das bisher denn noch nie passiert? Etwa weil die Nachrichtendienste so gut arbeiten? Genau die, die keine Ahnung von der NSA Spionage haben und vollkommen überrascht sind, dass das Handy unserer Kanzlerin abgehört wird? Wer eine Bombe bauen will, kann das heutzutage völlig problemlos. Die Anleitungen gibt es im Internet, das Material im Baumarkt. Nur die Terroristen, die so etwas tun würden, scheint es nicht zu geben.

Ich bin überzeugt: Der Krieg gegen den Terrorismus ist eine Aktion unter falscher Flagge. Es geht in Wirklichkeit um die möglichst vollständige Überwachung der Menschen auf diesem Planeten, vor allem in den industrialisierten Ländern. Es stellt sich da mal wieder die Frage: Qui Bono?

Die westlichen Regierungen überspannen den Bogen. Wir befinden uns in einer Zeit die vergleichbar ist mit der zweiten Hälfte der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts in Frankreich. Man kann fast zusehen, wie das Agressionspotential überall auf dem Globus steigt. Man glaubt die Menschen dauerhaft für Dumm verkaufen zu können, und dies wird sich letztendlich als ein fataler Trugschluss erweisen. Das Fass ist zum Bersten gefüllt und wird bald explodieren, die Lunte ist schon angezündet. Der sogenannte Krieg gegen den Terrorismus ist nichts als ein weiterer Versuch die Menschen in der Welt noch eine Zeitlang weiter zu unterdrücken, damit ein paar Wenige noch eine Zeitlang länger die Menschen auspressen und die Früchte ihrer Arbeit einsacken können.

(c) Foto: Lisa Spreckelmeyer  / pixelio.de

Generalverdacht

Assange, Manning, jetzt Snowden. Menschen, die mit dem Finger darauf zeigten und zeigen, wo die Grenze zwischen Freiheit und Sicherheit nicht verlaufen darf - und die dafür vom mächtigsten Staat der Erde gejagt und eingesperrt werden, wenn er sie denn kriegen kann.

Die Bürger der Erde sind unter Generalverdacht geraten. In den Augen der Sicherheitsbehörden sind wir alle potentielle Terroristen. In einer Zeit, in der Kriege nicht mehr mit Armeen sondern mit Computern, Saboteuren und Selbstmordattentätern geführt werden, haben die Staaten noch keine Strategie, kein alternatives Reaktionsmodell, dagegen gefunden. Außer halt, dass alle Menschen Terroristen sein können und daher alle Menschen wie Terroristen überwacht und kontrolliert werden müssen. Heute kämpft nicht mehr eine Armee gegen eine andere, sondern der Staat gegen alle.

Ich bin vor vier Jahren das letzte Mal in die USA eingereist und dort - wie alle anderen Einreisenden auch - gleich erkennungsdienstlich erfasst worden. Iris-Scan, Fingerabdrücke, das ganze Programm, wie man es bei uns eigentlich nur aus Kriminalfilmen kennt, wenn Verdächtige verhaftet werden. Dass meine Daten jetzt in den Datenbanken von CIA, FBI, NSA und wer weiß sonst noch alles gespeichert sind, beruhigt mich keineswegs. Nicht weil ich etwas zu verbergen hätte, sondern weil eine anonyme Administration mich nun analysieren, verfolgen und prognostizieren kann, wahrscheinlich sogar besser als meine Frau es könnte. Eine Administration, die nichts dabei findet von ihr als Terroristen deklarierte Menschen einfach per Drohne zu töten. Unbeteiligte Nachbarn und deren Kinder als Kollateralschäden mit eingeschlossen.

Was Assange, Manning und Snowden gemacht haben ist aufzuzeigen, wie weit die staatliche Sicherheitsphobie bereits gediehen ist - und das nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Was diesbezüglich in China und Russland, im Iran oder in Saudi Arabien passiert, darüber will ich gar nicht erst nachdenken. Auch der deutsche Nachrichtendienst soll 100 Millionen Euro zusätzlich bekommen, um Menschen in aller Welt besser überwachen zu können. Alles im Namen des Schutzes vor Terrorismus.

Wir befinden uns ganz offensichtlich im Krieg, einem Krieg ohne Kombatanten, dafür mit sovielen Beteiligten wie noch nie zuvor. Die gesamte Weltbevölkerung wird von den Staaten heute als Gefahr gesehen. Nur wer beweisen kann, dass er nichts Böses im Schilde führt, gilt (vielleicht) als unverdächtig. Das ist die Umkehr der Beweislast, die Aufgabe der lange geltenden Grundannahme dass man als Unschuldiger zu gelten hat, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist. Heute müssen wir beweisen, dass wir nicht schuldig sind, andernfalls werden wir observiert, in Datenbanken gespeichert und mit Algorithmen in Bedrohungsstufen einsortiert.

Ich bin im Herbst wieder auf einer Konferenz in London, wo ich einen Vortrag halte. Gerade in England, sozusagen im Herzen Europas, kann man in der Öffentlichkeit fast keinen Schritt mehr unbeobachtet gehen. Meine Daten sind in Computern, meine Bewegungen sind in Computern, wenn ich etwas online kaufe oder mit Karte bezahle ist es im Computer, und die NSA baut Datenbanken, die diese ganzen Informationen vernetzen und auswerten können. Orwells 1984 ist da - einschließlich des staatlichen Neusprech, das all dies rechtfertigt und uns als gut verkauft.

Ich bin dankbar, dass es Menschen wie Assange, Manning und Snowden gibt. Die mit dem Finger darauf zeigen, dass unsere Freiheit in Gefahr ist, dass wir im Namen der Sicherheit alle unter Generalverdacht gestellt sind. Menschen an denen sichtbar wird, wie paranoid die Sicherheitsbehörden der Staaten geworden sind, für die Recht und Gesetz nicht mehr Hinderniss und Grenze, sondern gestaltbares Mittel sind. Jede Kamera, jedes Überwachungsprogramm, jeder Datenbankeintrag ist ein kleines Stückchen Freiheit weniger für die Bürger der Erde.

Und die Terroristen? Als ob die sich davon beeindrucken lassen würden! Nur Amateure gehen ins Netz des Systems, die Profis kennen es und können es leicht aushebeln. Wer es darauf anlegt nicht entdeckt, nicht erkannt zu werden, wer berufsmäßiger Terrorist oder Krimineller ist, führt ein Leben, das weitgehend unsichtbar für die Sicherheitsbehörden ist.

Wieviele terroristische Anschläge gibt es im Jahr in Europa, in Nordamerika? Wieviele Terroristen werden dort täglich verhaftet? Verkehrsunfälle, Alkohol oder Tabak sind ein vielfach größeres Risiko, eine vielfach größere Gefahr für die Menschen, als Terrorismus. Wo ist der Krieg gegen Autos, gegen die Alkohol- und Tabakindustrie? Ich habe den Eindruck, die Überwachung richtet sich gar nicht gegen den Terrorismus, sondern ist tatsächlich das, als was es ganz offensichtlich erscheint: Eine Überwachung der Bürger. Die Frage ist mal wieder: Cui Bono?

Vielleicht müssen wir bei mehr als 7 Milliarden Menschen auf der Erde einfach auch akzeptieren, dass die Zahl der Chaoten, der Gewalttäter, der Kriminellen in gleichem Maße absolut größer geworden ist wie die Zahl ihrer potentiellen Opfer. Bei 7 Milliarden Menschen gibt es einfach mehr Gewalttaten als bei 2 Milliarden Menschen. Wir sollten vielleicht anerkennen, dass es kein Leben in vollständiger Sicherheit geben kann. Vielleicht sollten wir einfach die Toten durch terroristische Angriffe in die gleiche Kategorie stecken wie die Toten durch Verkehrsunfälle, Alkohol, Tabak, Malaria oder Masern - und diesem Problem damit automatisch die Bedeutung zuweisen, die es tatsächlich hat: Eine völlig unbedeutende Randerscheinung im Kanon der Risiken des Lebens in unserer Zeit.

Es ist eigentlich kein Sicherheitswahn, es ist überhaupt kein Wahn, sondern das hat Methode. Der Terrorismus ist da nur willkommener Sündenbock. Unverfänglich, Unheimlich und Unüberprüfbar. Das ist kein Kampf gegen den Terrorismus, sondern ein Kampf gegen den freien Bürger, gegen die Freiheit der Bürger. Es ist die Schlussphase in der Verwirklichung der Orwell'schen Dystopie. Assange, Manning und Snowden haben nichts anderes getan, als darauf hinzuweisen. Was, ganz im Sinne Orwell'schen Neusprechs, mittlerweile ein Verbrechen ist.

(c) Foto: Günther Richter / pixelio.de